Wiener Vorlesungen: Generation Porno: Mainstream? Befreiung? Gefahr?

Hubert Christian Ehalt im Gespräch mit Franz X. Eder, Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien mit Schwerpunkt u.a. auf Konsum- und Sexualitätsgeschichte und Suleika Mundschitz, Kulturwissenschaftlerin, Künstlerin und Lehrerin an einem Wiener Gymnasium.

Suleika Mundschitz

Suleika Mundschitz

(c) privat

Pornografie ist ein zentrales Medium geworden. Im Internet werden pornografische Inhalte vermittelt und gehandelt, Pornografie wird professionell, zunehmend aber auch autonom und individuell produziert. Ein Großteil der im Netz kommunizierten und zum Kauf angebotenen Inhalte ist pornografisch. Da die Thematisierung von Sex ubiquitär präsent ist, stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch gerechtfertigt ist, dafür den Begriff "Pornografie" zu verwenden; dieser Begriff unterstellt apodiktisch, dass die Darstellung sexueller Inhalte tabuverletzend, pervers, daher illegitim sei. Die Normverletzung im tabuisierten Bereich der Sexualität macht Pornografie attraktiv. Es ist soziologisch und medienwissenschaftlich gesichert, dass ein großer Teil dessen, was bis vor 15 Jahren mit dem Begriff Pornografie bezeichnet wurde, zum Mainstream geworden ist. In den 1990er Jahren wirkten pornografische Inhalte und Darstellungen vor allem als Präge- und Sozialisierungsinstanz, seit Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es zwischen gelebten alltäglichen sexuellen Beziehungen und deren Darstellung in der digitalen Welt sehr lebendige und dynamische Wechselbeziehungen.

Das Thema Pornografie und das, was es im Alltag der Menschen bedeutet, sind in höchstem Maß ambivalent. Einerseits bewirkt der Pornoboom eine gewisse Befreiung und Entkrampfung in einer traditionell sexualfeindlichen Kultur. Die Praktizierung und Darstellung der körperlichen Liebe in vielen (wenn nicht allen) Varianten und Möglichkeiten ist jedenfalls weniger hässlich, schädlich, pathologisch als die Praktizierung und Darstellung des Tötens, Mordens und der Gewaltanwendung in all ihren omnipräsenten Facetten; allerdings hat auch in der Pornografie der Anteil der Darstellung von Gewalthandlungen mit sexuellem Charakter sehr stark zugenommen; auch dieser Zusammenhang ist in höchstem Maß diskussionswürdig.

Faktum ist, dass die Generation der heute 20-Jährigen zu 99 Prozent mit pornografischen Inhalten sozialisiert wurde. Ihre Vorstellungen von Geschlechterrollen, Liebe, Erotik und Sex wurden durch Pornografie jedenfalls mitgeprägt. Ihre Auffassung von Sex ist tendenziell etwas weniger "romantisch", offener im Hinblick auf unterschiedliche Praktiken, gleichzeitig aber auch immer stärker unter einem Diktat allgegenwärtiger ästhetischer Normen und einem neuen "Sex-Knigge", der den jungen Leuten die Autonomie nimmt, ihre eigenen Wünsche und die ihres Gegenübers zu erkunden und sie unter das Kuratel einer Dramaturgie stellt, die niemand zu durchbrechen wagt.

Franz X. Eder

Franz X. Eder

(c) privat_582.jpg

Sex wird in der Pornografie explizit dargestellt, ohne soziale, inhaltsbezogene, wertbezogene, künstlerische, dramaturgische Begründung – Pornografie ist "sex pour sex". Es gibt keinen Handkuss und kein Händchenhalten, Liebe ist im Medium der Pornografie nicht notwendig, um Sex zu haben. In pornografischen Plots erscheint Liebe eher überflüssig; es geht direkt zur Sache; dabei spielt die Frage nach den individuellen Geschichten – wer mit wem, welche (Lebens-)Geschichten haben die Akteurinnen und Akteure, wer sind sie – eine untergeordnete Rolle.

Pornografie ist ein Massenmedium, ein Wirtschaftsimperium ungeahnten Ausmaßes, eine Tabubruchinstanz auf einem Feld, wo die Produzentinnen und Produzenten täglich aus Geschäftsgründen etwas weiter gehen; die Grenzen des Dargestellten und des Darstellbaren werden schleichend ständig erweitert. Pornografie oszilliert in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zwischen patriarchalisch bestimmter Ausbeutung der Agierenden – insbesondere der Frauen, die nur scheinbar Wahlfreiheit haben – und einem Experimentierfeld der sozialen Innovation, auf dem vorexerziert wird, wie sich Individuen von den Ketten jahrhundertelanger Sexualunterdrückung befreien könn(t)en.

Erotik und lustvoller Sex waren in der Geschichte Fantasiegebilde; sie waren wohl selbst als Fantasie nur rudimentär vorhanden, da für deren Ausbildung gute Lebensbedingungen, vermutlich auch Bildung und ein gewisses Maß an Autonomie notwendig gewesen wären. Außerdem war ja bereits das lustvolle Denken an Sex aus der Perspektive der Religion Sünde. Die Realisierung einer erotischen Kultur war nur wenigen Angehörigen sozialer Eliten – und dort wieder vorwiegend den Männern – vorbehalten. Die mächtigen sozialen Einheiten und Interpretationssysteme der Welt – "Religion", "Familie", "Haus", "Stamm", "Clan" und schließlich die sich in der Neuzeit konstituierenden "Staaten" – wollten Kontrolle über die Fortpflanzung; sie formulierten die Kriterien für die "Legitimation zur Zeugung".

Viele Fragen stellen sich: Wenn die Menschen flexible Kulturwesen sind, könnte es sein, dass die zigmilliardenfache Darstellung des früher "Anstößigen" aus diesem auf längere Sicht schließlich das Gängige, Normale, Alltägliche macht und mit dem Tabu auch das Pornografische verschwindet. Aus dem vorher diametralen Unterschied zwischen dem Alltäglichen und dem Erotischen würde dann ein bloß gradueller zwischen höflichen und intimen Zärtlichkeiten. Wenn Tabus jedoch anthropologisch festgelegt sind, wofür ebenfalls einige empirische Fakten sprechen, bleiben Tabus und deren Verletzung durch Pornografie eine unendliche Geschichte.

Text: Hubert Christian Ehalt

Anzeige

Eine Veranstaltung in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen.

Service

Wiener Vorlesungen: Generation Porno: Mainstream? Befreiung? Gefahr?
Mittwoch, 11. Juni 2014
19:00 Uhr
Großer Sendesaal