Wiener Vorlesungen: Zur Aktualität des Wiener Kreises

Karl Sigmund und Friedrich Stadler, die Kuratoren der Ausstellung "Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rand des Untergangs" in der Universität Wien sowie Elisabeth Nemeth, Professorin am dortigen Institut für Philosophie, im Gespräch mit Hubert Christian Ehalt.

Der berühmte Wiener Kreis ist Vergangenheit: Moritz Schlick wurde auf den Stufen der Wiener Universität Wien 1936 ermordet und die meisten übrigen Mitglieder dieses faszinierenden Diskussionszirkels wurden spätestens nach dem "Anschluss" 1938 vertrieben. Eine Rückkehr nach 1945 gab es nicht, obwohl Viktor Kraft nochmals für einige Jahre eine kurze Renaissance nach der gewaltsamen Zerstörung versuchte.

Elisabeth Nemeth

Elisabeth Nemeth

(c) Wiener Vorlesungen

Was blieb vom Schlick-Zirkel aus heutiger Sicht? Der Logische Empirismus ist vorerst in der angloamerikanischen Welt zum selbstverständlichen Bestandteil der heutigen Wissenschaftsphilosophie geworden und der Wiener Kreis gilt heute schlechthin als Klassiker der modernen Wissenschaftstheorie.

Karl Sigmund

Karl Sigmund

(c) Wiener Vorlesungen

Das Manifest von 1929 präsentierte die "wissenschaftliche Weltauffassung" als philosophische Antwort auf die Umwälzungen durch Evolutionstheorie, Relativitätstheorie und Quantenphysik seit dem 19. Jahrhundert. Hinzu kam die neue Rolle der Sprache seit Gottlob Frege und Ludwig Wittgenstein sowie der symbolischen Logik seit Bertrand Russell und Kurt Gödel.

Hubert Christian Ehalt

Hubert Christian Ehalt

(c) Wiener Vorlesungen_Timeline_R. Handl

Vor diesem Hintergrund wollte man die traditionelle Philosophie verwissenschaftlichen, zugleich exakter und klarer machen: die wissenschaftliche Weltauffassung verstand sich als Ausdruck einer aufklärerischen, volksbildnerischen und sozialreformerischen Moderne in der Nähe zur Neuen Sachlichkeit in Architektur und Literatur. Dies war der Gegenentwurf zu einer metaphysischen, spekulativen Systemphilosophie, die sich zum Großteil mit totalitären Gesellschaftsentwürfen verbündete.

Auch wenn einige radikale Inhalte, die auch dem polarisierenden Zeitgeist der Zwischenkriegszeit geschuldet waren, heute als anachronistisch erscheinen, verbleiben die Ziele, Prinzipien und Methoden des Wiener Kreises als zukunftsträchtiges Erbe für eine philosophische Theorie und Praxis.

Nicht zuletzt steht angesichts der wachsenden Überspezialisierung und Ausdifferenzierung der Wissenschaften die regulative Idee einer prinzipiellen Einheit der Forschung auf der Tagesordnung, die ein interdisziplinäres Gespräch zwischen den Fächern ermöglicht, ohne die Disziplinenvielfalt und den theoretischen Pluralismus in Frage stellen zu müssen.

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Eine Veranstaltung in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen.

Service

Wiener Vorlesungen: Zur Aktualität des Wiener Kreises
Montag, 5. Oktober 2015
19:00 Uhr
Großer Sendesaal