Vergiss dein Pfuschwerk, Schöpfer

Inszenierung von zwölf Gedichten Christine Lavants, dargestellt von Isabel Karajan und verknüpft mit der Cellosonate No 40 von Dmitri Schostakowitsch - mit Franz Bartolomey (Cello) und Gottlieb Wallisch (Klavier). Regie: Julian Pölsler.

Isabel Karajan

Isabel Karajan

(c) Matthias Creutziger

Die Dichterin Christine Lavant wurde geboren als der Komponist Dmitri Schostakowitsch gerade acht Jahre alt war. Obwohl die Zeitgenossen höchstwahrscheinlich voneinander wenig oder gar nichts wussten, verbindet sie einiges. Beide waren zeitlebens von Krankheiten geplagt, vom Ringen zwischen Leben und Tod. Das Kind eines Kärntner Bergarbeiters war ebenso wie der anerkannte sowjetische Komponist ein Leben lang gefährdet; Todesangst und Todesnähe ziehen sich durch die Biografien beider Künstlerpersönlichkeiten.

In der Produktion "Vergiss dein Pfuschwerk, Schöpfer" begegnen einander die singende Lyrik von Schostakowitschs 1934 entstandener Cellosonate und die spröde Musikalität der Gedichte Lavants.

Die Schauspielerin Isabel Karajan, die ein Naheverhältnis zu Schostakowitschs Musik hat, ist in einer Inszenierung von Julian Pölsler zu erleben. Der österreichische Regisseur ist vor allem durch seine Arbeiten für Film und Fernsehen bekannt - u.a. durch die Verfilmungen der "Polt"-Kriminalromane von Alfred Komarek und durch den Kinoerfolg "Die Wand", eine Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans von Marlene Haushofer - hat aber auch Oper inszeniert.

Julian Pölsler

Julian Pölsler

(c) Manfred Pauker

Regisseur Julian Pölsler über Perspektiven, Licht und Götter

Herr Pölsler, was hat Sie zu diesem Projekt über Christine Lavant angeregt?

Christine Lavant kenne ich schon sehr lange, denn ich liebe Lyrik – meine absolute Lieblingssendung ist "Du holde Kunst" auf Ö1. Im Zuge meiner Lyriksammlung und -affinität bin ich auf Lavant gekommen und plane, ihr Leben und ihr Streben nach dem perfekten Gedicht zu verfilmen. Ich habe zwei Filmprojekte, die mit Lavant zu tun haben, aber da muss man noch ein paar Jahre warten. Buñuel hat ja gesagt, das Wichtigste beim Filmemachen ist das Geheimnis... Nachdem Lavant heuer 100. Geburtstag hat, wollte ich ihr zudem meine Referenz erweisen. "Vergiss dein Pfuschwerk, Schöpfer" haben Isabel Karajan und ich in Gohrisch bei Dresden beim Schostakowitsch-Festival vorgestellt, wo es begeistert aufgenommen wurde.

Warum haben Sie gerade Isabel Karajan gewählt, um Christine Lavants Lyrik zu vermitteln?

In erster Linie wegen der großen Verbundenheit von Isabel Karajan zu den Texten von Christine Lavant: Sie versteht die Gedichte, und zwar: Verstehen in meinem Sinne. Das Großartige an Lavant ist, dass jeder etwas anderes liest. Die Gedichte sind Spiegel, in denen jeder sich selbst spiegelt – seine Ängste, seine Befürchtungen. Bei Frau Karajan und mir sind die sehr ähnlich, was zu intensiven Gesprächen und einer inspirierenden Zusammenarbeit geführt hat.

Isabel Karajan betritt die Bühne, setzt zu einer klassischen Lesung an, bricht ab und verkleidet sich, um szenisch zu rezitieren – was hat es mit diesem Einstieg auf sich?

Ich liebe herkömmliche Lesungen nicht sehr. Ich liebe Gedichte, aber ich mag nicht, wenn Leute lesend unter einem Lamperl mit einem Glaserl Wasser sitzen. In unserer szenischen Lesung ist Isabel Karajan teilweise gar nicht zu sehen, liegt am Boden und spricht hinauf in den Bühnenhimmel. Die Gedichte werden auch nicht konsequent durch Musik getrennt – was sie trennt, ist die Lichtstimmung, die mit der Stimmung im Gedicht wechselt. Die Musiker haben immer das gleiche Licht, das ist das Grundgerüst. Wenn die Musiker sich dann so einweben in die Gedichte, entsteht etwas sehr Interessantes.

Was die Themen Einsamkeit, Weiblichkeit und Natur betrifft, gibt es einen Zusammenhang zu Marlen Haushofers "Die Wand", die Sie 2012 verfilmt haben.

Ja, diese Themen haben beide Autorinnen. Bei Lavant spüre ich auch dieses selbstständige, kraftvolle Frausein sehr stark – obwohl sie durch Krankheit und unglückliche Liebe geschlagen war, hatte sie so viel Kraft und war dabei nicht frustriert. Das war und ist das Faszinierende für mich. Sie musste durch ihre Krankheit als Kind immer Verbände tragen, die ihr das Gefühl gaben, immer draußen, immer allein zu sein. Dieses ausgegrenzt, ausgesperrt, hinter einer Wand der Ignoranz Sein – das verbindet Haushofer und Lavant. Und auch der weibliche Umgang damit – und die Naturverbundenheit. Ich mag die Kräuter- und Blumenhinweise in den Gedichten von Lavant sehr.

Der Titel "Vergiss dein Pfuschwerk, Schöpfer" legt nahe, dass Religion im Fokus steht.

Es geht um mehr, nämlich um Spiritualität. Lavant war stark durch den Katholizismus geprägt, hat ihn aber dann als Künstlerin überhöht und auch verlassen. Sie hat sich ja auch dem buddhistischen Glauben nahe gefühlt. Einerseits hadert sie mit Gott, andererseits ist da aber auch eine große Nähe. Bei Schostakowitsch war es wieder anders: Sein Gott hieß Josef Stalin – der ihn bis zu dessen Lebensende an der Gurgel gehabt hat. Schostakowitsch hatte ja angeblich über 20 Jahre lang immer zwei gepackte Koffer parat, weil er immer damit rechnen musste, dass er abgeholt wird. So verbindet die beiden Künstler eine Existenzangst, die bei Lavant aus ihrer schweren Krankheit kam, die sie Zeit ihres Lebens begleitet hat. Und trotzdem haben die beiden – und das finde ich so faszinierend – es geschafft, ein unglaubliches Lebenswerk für die zu hinterlassen, die ihre Ängste kennen. Es ist eine Möglichkeit, diese Ängste – wenn auch nicht loszuwerden – zu dechiffrieren.

Wie würden Sie Lavants Gottesbegriff definieren?

Durch ihre mehrmalige Erfahrung von Todesnähe ist ihr Gottesbegriff ein ganz anderer als der für Normalsterbliche, sie geht damit in ihren Gedichten viel radikaler um. Mir ist auch aufgefallen, dass sie sehr oft, wenn sie von Gott spricht, nicht den Mann mit weißem Bart im Himmel meint, sondern auch oft einen Mann, einen bestimmten Mann, der in ihrem Leben eine große Bedeutung hatte und umgekehrt. Es ist in ihren Gedichten vieles sehr überhöht, und trotzdem: Am Ende eines Gedichts kommt eine Zeile – und Lavant ist genau am Punkt. Sie verlässt diese übersteigerte Sicht völlig und ist wieder auf dieser Welt. Das schafft die Frau nur mit einem Schlusssatz. Das Tolle ist, man liest die Gedichte immer anders. Ich hatte bei der Aufführung in Dresden ein absolutes Lieblingsgedicht, bei der am Grundlsee hatte ich ein anderes – und ich bin sicher, im RadioKulturhaus werde ich wieder ein anderes haben. Darauf freue ich mich jetzt schon – und darauf, dass es dem Publikum mitunter auch so geht. Mir ist es wichtig, einen kleinen Beitrag zu leisten, dass diese Titanin der österreichischen Literatur gesehen, erkannt und gelesen wird.

Das Interview führte Susanne Berndl.

Anzeige

Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Tageszeitung "Die Presse".

Service

Vergiss dein Pfuschwerk, Schöpfer
Samstag, 5. Dezember 2015
20:00 Uhr
Großer Sendesaal