Maren Kroymann: "In my Sixties"

Die Schauspielerin und Kabarettistin Maren Kroymann hielt eine tabulose Rückschau auf "50 Jahre Pubertät".

Maren Kroymann

(c) Milena Schlösser

In ihren so gar nicht wehmütigen Sechzigern schöpft Maren Kroymann aus Revolution und Emanzipation wie aus einer Frischzellen-Therapie mit Depot-Funktion. In ihrem Programm "In my Sixties" widmet sie sich der Musik der 1960er Jahre. Musik, die erstes sexuelles Begehren, den Wunsch nach Hingabe, nach Leichtigkeit, nach Befreit-Sein auslöste.

Die begnadete Sängerin arbeitet sich dabei lustvoll und geistreich sowohl durch die musikalischen Edelsteine dieser Ära als auch durch ihr ideologisches Geröll. Vor allem Dusty Springfield hat es ihr angetan, mit dieser kraftvollen Stimme, die eine weibliche Stärke zum Ausdruck brachte, die sich so in der Gesellschaft gerade erst ankündigte.

Begleitet wird Maren Kroymann von Matthias Binner (Klavier), Jürgen "Speedy" Schäfer (Kontrabass), Ralf Lehmann (Gitarre) und Marcin Lonak (Schlagzeug).

Avantgardistin der Frauensatire

Als Schwester von vier älteren Brüdern wurde Maren Kroymann 1949 in Tübingen geboren. Die Eltern führten sie an Oper und Instrumentalklassik heran, über ihre Brüder, die den US-Sender AFN hörten, entdeckte sie ihre Liebe zum damals verrufenen Rock'n'Roll und zu Elvis Presley. Während alles Deutsche gehemmt und verklemmt schien – "die 1950er waren ein peinliches Jahrzehnt" – signalisierten die USA alles Schicke und Unverklemmte: "Das war so locker, erotisch und hatte Selbstbewusstsein. Das war sehr körperlich. So wollte ich sein."

Ihren ganz eigenen musikalischen Raum – abseits des bildungsbürgerlichen Musikgeschmacks, fernab von Schul- und Kirchenchor, Klavierstunde und klassischen Konzerten – fand sie zunächst im Schlager, gemeinsam mit dem Dienstmädchen hörte sie Gassenhauer von "Cindy, oh Cindy" bis "Steig in das Traumboot der Liebe".

Nach dem Schulabschluss studierte Maren Kroymann ein Jahr lang u.a. Amerikanistik an einem kleinen Frauencollege in Ohio und nahm auch Schauspielunterricht. Was war hier tatsächlich anders? "Die Rock'n'Roll-Jungs waren schicker als bei uns. Die Deutschen waren spießig und eng. Waren bei den Pfadfindern und lernten Latein, ganz bildungsbürgerlich-konservativ … Elvis hat den Grundstein der Erotik gelegt. Das war kribbelnd ... die Popmusik stand für Verbotenes."

Mit gestärktem Selbstbewusstsein kam Kroymann zurück, Anfang der 1970er Jahre vertiefte sie sich mit anderen deutschen Studierenden in Paris in die Theorien von Marx und in die Brecht-Lukács-Debatte. Sie entschied sich, nach Berlin zu ziehen, engagierte sich bei der Aktionsgemeinschaft von Demokraten und Sozialisten und im Sozialistischen Frauenbund, studierte das "Kapital" und sang im Hanns-Eisler-Chor Arbeiterlieder – wo sich auf ihre Initiative hin eine Frauengruppe bildete: "Ich habe meine Schlager eingebracht, eine Baby-Schnulze von Marika Rökk etwa, die ich mit dem §218-Thema kontrastierte. Ich merkte, dass man Dinge gegeneinanderstellen, sie ironisieren kann, damit sie zu sprechen beginnen und politisch nutzbar werden.“

Es ist genau diese Ironisierung durch Verquickung, die Maren Kroymanns erstes Bühnenprogramm "Auf du und du mit dem Stöckelschuh" ausmacht. Mit diesem Rückblick auf die spießige Welt des deutschen Nachkriegsschlagers mit seinen Weiblichkeitsklischees tourte sie ab 1982 etwa fünf Jahre durch den deutschen Sprachraum und wurde zur Avantgardistin der Frauensatire. Die Künstlerin konnte hier alles einbringen: ihre analytischen Fähigkeiten in Bezug auf Literatur, die sie auf Schlager übertrug, das Singen und das Schauspielern.

Zur gleichen Zeit wurde Maren Kroymann fur das Fernsehen entdeckt: Sie spielte mit Robert Atzorn in der Serie "Oh Gott, Herr Pfarrer", übernahm die Titelrolle in der Serie "Vera Wesskamp" und startete
Ende der 1990er Jahre die ARD-Kabarettsendung "Nachtschwester Kroymann".

In ihrem zweiten Programm "Gebrauchte Lieder" wirft sie einen klaren und doch empathischen Blick auf das Männerbild der amerikanischen Popmusik ihrer Jugend. 2000 wurde Maren Kroymann mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnet. Der Preis der deutschen Filmkritik, der Ehrenpreis "Reif und Bekloppt" des Prix Pantheon, den sie als erste Frau erhielt, und der MANEO-Award für ihr künstlerisches und gesellschaftliches Engagement gegen Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Gewalt folgten. 2015 wurde ihr der Ehrenpreis des Baden-Württembergischen Kleinkunstpreises verliehen.

Seit 2011 interpretiert Kroymann in ihrem Programm "In my Sixties" u.a. Hits von Elvis Presley und Dean Martin, The Manhattan Transfer, den Walker Brothers und vor allem Dusty Springfield, der ersten Frau, in die sich Kroymann – ob ihrer Stimme und Performance, die Zerbrechlichkeit und Willenskraft ausstrahlten – als Jugendliche verliebt hatte. Während die britische Sängerin ihre Homosexualität lebenslang geheim hielt, empfand Kroymann ihr Outing Anfang der 1990er angesichts ihrer Popularität als gesellschaftliche Pflicht.

Die Lieder aus einer prägenden Zeit, in der alles neu war, verbindet sie mit Erzählungen und Sketches über diese zugleich beengende Zeit, die die Sehnsucht nach Entfaltung schürte. Kroymann feiert damit "50 Jahre Pubertät" und verbindet die Vorzüge des neugierigen Aufbruchs mit der Gelassenheit einer Frau, die – befreit vom Anspruch der sexuellen Verfügbarkeit – endlich als intellektuelles Wesen, als Geist akzeptiert wird:

"Ich habe das Gefühl, postklimakteriell jetzt gut Röcke anziehen zu können. Die Zuschreibung von Weiblichkeit ist vorbei. Ich kann auf der Bühne sexy Abendkleider anziehen, Bein zeigen, ohne dass ich ein Geschlecht desavouiere oder die Frauenbewegung. Ich bin einfach zu alt, um die Tussi zu sein."

Kroymann reflektiert Weiblichkeit als große performative Geste, die so perfekt sitzt wie ihr blaues Ballonkleid, ist eine Diva ohne Allüren, eine feministische Künstlerin, die sich die Freiheit nimmt, mit Klischees zu spielen. Diese Range spiegelt sich auch in der Stimme der Sängerin wider: Die Sopranistin Kroymann entdeckte für ihre solistischen Auftritte ihre Diseusen-Alt-Stimme als "zweite musikalische Identität" – jugendlich-schallende Höhen und rauchige Tiefen lassen sowohl die Erinnerung an die Jugend als auch die Gelassenheit des Alters klingen.

"In my Sixties" ist kein nostalgisches Programm – denn Maren Kroymann hat keinen Grund, sich zurückzusehnen. In ihren Erzählungen persifliert sie boshaft und spielerisch rollentypische Männer und das Frauenklischee von gestern (als die Gesellschaft so frauenfeindlich war, dass es nicht einmal den Begriff gab) und heute (wo die Errungenschaften der Frauenbewegung als Ruhekissen locken). Die Haltung von Frische, Aufbruch und stetigem Lernen lässt Kroymann gerade in ihren Sechzigern strahlen.

Text: Susanne Berndl

Service

Maren Kroymann: "In my Sixties"
Dienstag, 1. März 2015
20:00 Uhr
Großer Sendesaal

Maren Kroymann