Kunst der Demokratie

Die Malerin Xenia Hausner zu Gast bei Alfred J. Noll.

Wenn eine Malerin eine ihrer zahlreichen Ausstellungen unter den Titel "ÜberLeben" stellt, dann macht sie sich so ihre Gedanken. Die Widerstände des Lebens gehen ihr durch Kopf, Hand und Pinsel. "Überleben" will aber immer wieder neu gelingen – und also stellt die Malerin Xenia Hausner immer wieder alles in Frage, fängt von vorne an und bleibt doch sie selbst: als Schauende, Suchende, Fragende.

Begonnen hat die Anfang der 1950er Jahre in Wien geborene Malerin als Bühnenbildnerin. Sie verlockte die Theaterbesucherinnen und -besucher in Wien, Brüssel, London und Salzburg dazu, hinter und neben die Darstellerinnen und Darsteller zu blicken. Anfang der 1990er Jahre verließ sie das vergleichsweise sichere Kollektiv der Bühnenschaffenden und machte sich alleine auf die Suche.

Xenia Hausner

(c) Lukas Beck

Xenia Hausner malt Porträts, nicht nur, aber oft. Man merkt es ihren Bildern an: Stets wandert der Blick der Malerin zwischen der für uns alle sichtbaren Oberfläche zu den tief unter der Haut liegenden Gründen einer Person – oft sind es Abgründe.

Gewiss ist es heute eine Plattitüde: Die Wirklichkeit entsteht im Auge der Betrachterin. Bei Xenia Hausner kommt es im bildhaften Ergebnis aber zu einem stets spannenden Amalgam zwischen erahnter Wirklichkeit und erkannter subjektiver Handschrift der Malerin. Die Wirklichkeit? Die müssen wir erst einmal probieren, erforschen, ausloten – und manchmal landet dann im Mist, was mit einem zuversichtlichen Strich begonnen hat. Xenia Hausner ist der Literatur gewogen. Darin werden Dinge in Gang gesetzt, dadurch werden Menschen erwischt – Hirn und Bauch geraten in Bewegung. Hierin liegt die Qualität der Kunst, hier ist der Maßstab anzusetzen, ob Kunst gut oder schlecht ist.

"Der Betrachter ist der Interpret – was er sieht, wird sicher stimmen. Meine Bilder sind so widersprüchlich wie das Leben, es gibt daher widersprüchliche Lesarten dafür. Der Betrachter muss dieses Rätsel mit den Vokabeln seiner Biografie lösen. Ich liefere keine Auflösung mit", sagt Xenia Hausner.

Es ist nicht selbstverständlich in der Kunst, derart auf die Betrachterin zu setzen. Lässt sich aber wirklich trennen zwischen den Ambitionen und Erwartungen der Künstlerin und den oft beschädigten Sehgewohnheiten des Publikums? Ist die Widersprüchlichkeit des Lebens, aus der heraus Xenia Hausner schafft, auch die Widerspruchserfahrung der Leute, die sich daran machen, auf ihre Bilder zu blicken?

Jede Künstlerin wird wohl mit sich selbst ausmachen müssen, worin ihr Anliegen besteht. Und jede Künstlerin wird überdies für sich selbst die Maßstäbe finden (müssen), nach denen sie beurteilt, ob ein Werk gelungen oder missraten ist. Aber zeigen sich darin wirklich ganz unabhängig-individuelle Maßstäbe? Oder sind auch Künstlerinnen und Künstler gefangen im Kosmos überkommener Sehgewohnheiten, die oft unbewusst und unerkannt den Weg durch Kopf und Pinsel aufs Bild finden?

In ihren Bühnenbildern versammelten sich Schrott und Müll. Nicht das Leben, sondern was vom Verlebten übrig geblieben ist. In ihren Bildern aber steht der Mensch, das Leben selbst. Rigoros gegenständlich, mitunter von farbiger Schroffheit, werden Menschen gezeigt, die in einer oft uneindeutigen Lage situiert sind. Vielen ist erkennbar unwohl. "Frauen sind das schönere Geschlecht", kolportieren sie – aber sie haben nichts zum Lachen. Manch eine von den Porträtierten wirkt verhärmt, lebensunlustig, getreten. Die Bilder geben keine eindeutigen Hinweise auf die Ursachen dieser Stimmungen, diese wollen erraten, erkundet, erforscht – und wohl auch erspürt werden.

Meist vermitteln die Bilder eine Ahnung von der Flüchtigkeit des Augenblicks – dem Publikum wird damit eine Aufgabe gestellt: Woher? Wohin? Was nun? Nicht nur die Philosophie fasst die Zeit in Gedanken. Auch die bildende Kunst tut dies. Ein Bild will betrachtet werden. Viel mehr als die Philosophie, die nur gedacht, aber nicht wahrgenommen werden kann, vermag deshalb die bildende Kunst das Publikum zu packen – und im Modus sinnlicher Anschauung Auskunft darüber zu geben, was der Fall ist.

Was kompliziert klingt, geht im Leben ganz einfach: Xenia Hausner malt, wir schauen. Und indem wir sehen, was Hausner gemalt hat, sehen wir uns – und die Welt überdies. Nicht ein für alle Zeiten fest gemeißeltes und unverrückbares Bild der Welt erhalten wir, sondern eines, das sich von einem Moment auf den anderen stets als wechselhaft, den psychischen und sozialen Status quo stets transzendierend erweist. – Wohin gehen wir, Frau Hausner?

Text: Alfred J. Noll

Service

Kunst der Demokratie
Donnerstag, 19. Mai 2016
19:00 Uhr
KlangTheater

Xenia Hausner