Aufgeschlagenes Buch mit Brille

DARIUSZ SANKOWSKI/PIXABAY

Desillusionierung, Zynismus, Opportunismus

Die nicht nachlassende Aktualität des Dramatikers Ödön von Horváth (1901-1938).

Als Gäste erwartet Robert Weichinger den Literaturwissenschaftler und -kritiker Klaus Kastberger, die Germanistin und Publizistin Daniela Strigl sowie den Bachmannpreis-Gewinner und Dramatiker Ferdinand Schmalz.

Im Fragment "Himmelwärts" wird der Raketenflieger Kasimir zu Versuchszwecken in die Umlaufbahn geschossen, doch die Rakete explodiert. Der unversehrt gebliebene Kasimir landet – der Märchenform entsprechend – auf einer Wolke. Er gelangt in das oftmals verklärte Arkadien. Doch dieses ist zu seiner Enttäuschung wie ein bayrischer Gesangsverein strukturiert. Und worin besteht dort die erdentrückte Glückseligkeit? "Das Arkadier-werden hat allerdings eine Bedingung! Du (zu Kasimir) musst mit uns singen – im Chor. Du darfst keine Solosachen machen."
Der Himmel als Gleichschaltungsverein, eine Pointe und zugleich ein bitteres Statement des zwischen Sentimentalität und Kulturpessimismus schwankenden Schriftstellers Ödön von Horváth. Mit der ihm eigenen Herangehensweise aus geradezu liebevoller Ironisierung und distanzierter Ernsthaftigkeit demaskiert Horváths Literatur die Winkelzüge des kleinbürgerlichen Bewusstseins.

Der Literaturwissenschaftler vom Franz-Nabl-Institut der Universität Graz, Klaus Kastberger, arbeitet seit Jahren mit einem Team an einer historisch-kritischen Ausgabe zum Werk Ödön von Horváths. Dieses Werk ist nun erstmals in seiner Entstehung und Genese nachvollziehbar. Mit Unterstützung des FWF hat der Germanist die historisch-kritische Ausgabe Ödön von Horváths bei de Gruyter herausgebracht, die als Leseausgabe bei Reclam erscheint. Diese Ausgabe ist nun fast abgeschlossen. Mit dem Ergebnis, dass das Bild Ödön von Horváths wohl ambivalenter ist, als es gemeinhin wahrgenommen wurde.
"Das spreche jedoch nicht gegen den Schriftsteller", meint Kastberger. Horváths Stücke sind nach wie vor ein fixer Bestandteil der Theaterwelt, das liegt an den Themen, die sie verhandeln – Arbeitslosigkeit, Rechtsruck, Flüchtlingsproblematik, Lieblosigkeit der Männer – als auch an formalen Stärken wie der stets präsenten "Stille" zwischen dem Gesagten. Diese Stille versinnbildlicht, was die Menschen mit ihrer phrasenhaften, floskelhaften und entfremdeten Sprache verloren haben. Horváths Stücke zeichnet eine "aufgeladene" Atmosphäre aus. Dazu kommt die epigrammatische Schärfe, die durch die lyrische Eigenart des Dialogs gemildert wird.