(c) Stephan Ozsváth
Im Zeit-Raum: Vedran Džihić
MO | 17 02 2025 | 18:30 Uhr
RadioCafe
Eintritt: EUR 12,–
Ermäßigungen:
ORF RadioKulturhaus-Karte 50%, Ö1 Club 10%
1943, zehn Jahre nach ihrer Flucht aus Deutschland, schrieb die Philosophin Hannah Ahrendt in ihrem Essay "Wir Flüchtlinge": "Von nun an sind 'Flüchtlinge' Menschen, die das Pech hatten, mittellos in einem neuen Land anzukommen und auf die Hilfe der Flüchtlingskomitees angewiesen zu sein. Es gab eine Zeit, da konnte man einkaufen und U-Bahn fahren, ohne dass uns jemand sagte, wir seien unerwünscht. Wir haben unser Zuhause verloren und damit die Vertrautheit des Alltags. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Ursprünglichkeit der Reaktionen, die Einfachheit der Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck von Gefühlen."
Eine Erfahrung, die auch der renommierte Politologe Vedran Džihić durchgemacht hat. Seine Familie wurde Anfang Jänner 1993 von Serben im Zuge von ethnischen Säuberungen aus Prijedor in Bosnien-Herzegowina vertrieben. Vedran Džihićs Vater stammte aus einer muslimischen, seine Mutter aus einer ukrainischen Familie. Sein Bruder und er selbst galten als Kinder aus einer "Mischehe". Dieses Schicksal machte die Familie zu "Anderen", zu "Feinden", die gemäß des herrschenden politischen Narrativs aus der Welt geschafft werden mussten. Nach einer Fluchtodyssee – das eigentliche Ziel war Kanada – landetet die Familie 1993 im Flüchtlingslager Traiskirchen.
Zwar sind nach der Genfer Flüchtlingskonvention die Rechte der Flüchtlinge im Aufnahmeland geregelt, wie der Schutz, die Unterbringung und Unterstützung. Übrigens auch die Verpflichtungen der Flüchtlinge gegenüber ihrem Gastland. Aber eine viel größere Herausforderung ist der Neubeginn und das Ankommen in der fremden Gesellschaft. Natürlich braucht es die Bereitschaft und den Willen der Schutzsuchenden. Aber genauso wichtig ist die Offenheit, das Aufeinander-Zugehen und die Gastfreundschaft der Gesellschaft. Nur dann können verunsicherte und traumatisierte Menschen ein neues Leben in einem neuen Zuhause anfangen. Der in vielen Ländern stark verwurzelte strukturelle Rassismus hat zur Folge, dass in "gute" und "schlechte" Flüchtlinge getrennt wird, sagt Vedran Džihić aus eigener Erfahrung: "Der Name, die Hautfarbe, der Reisepass – nichts davon darf darüber entscheiden, ob man als Flüchtling oder schlicht als Mensch akzeptiert und unterstützt wird, ob einem geholfen wird oder nicht."
Was können wir über Ankommen und Integration in einer Zeit lernen, in der die Rufe nach Aussetzung der Genfer Flüchtlingskonvention, Abschottung, "Remigration" und Festung Europa immer lauter werden? Was braucht es für das Ankommen jener Mitmenschen, die fortan ihre neue Heimat bereichern werden? – Der Umgang mit Flüchtlingen wird darüber entscheiden, wie sich die europäische Gesellschaft in der Zukunft konstituieren wird. Vedran Džihić ist Politikwissenschafter und Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik OIIP. Er lehrt an der Universität Wien und ist im Vorstand des Vereins "Ariadne – Wir Flüchtlinge für Österreich".