Iris Berben las "Die Kinder von Wien"
Robert Neumann parodierte alles, was in den 20er und 30ern des vorigen Jahrhunderts einen gewissen Ruf genoss: Brechts Mahagonny-Gesänge und Rilkes Gottsuche ebenso wie Ilja Ehrenburgs Sowjetpropaganda und Rudolf Presbers Gartenlaube-Romantik. Robert Neumann, Sohn eines Bankdirektors, geboren noch in der Kaiserstadt Wien, studierte Medizin, Chemie, Germanistik, arbeitete als Bankier, Schwimmtrainer, Lebensmittel-Importeur, Matrose und Frachtaufseher auf einem Hochseeschiff. Nach der Veröffentlichung kleiner Gedichtbände gelang ihm mit der Parodiensammlung "Mit fremden Federn" 1927 der literarische Durchbruch. Thomas Mann erklärte damals das Buch zum besten des Jahres.
1932 erschien der zweite Band der "Federn": "Unter falscher Flagge". Die Nazis setzten seine Werke aus rassischen und politischen Gründen auf ihren Index und damit auf die Liste der "Verbrannten Bücher". Auch deshalb verließ der kritische und unbestechliche Parodienschreiber unmittelbar nach der Errichtung der Austrofaschistischen Diktatur 1934 seine Heimatstadt und ging ins Exil nach Großbritannien. Sein umfangreiches literarisches Werk, seine historischen und zeitkritischen Gegenwartsromane, seine biografischen Skizzen, autobiografischen Schriften, literatur- und kulturkritischen Essays sind von seinen berühmten Parodiensammlungen, den "Federn" und der "Flagge", fast zugedeckt worden.
Umso wichtiger ist es, Robert Neumann - auch mit "Die Kinder von Wien" - neu zu entdecken: "Ob Berlin oder Wien: Die strahlenden Städte, in denen wir's uns gemütlich machen, sind in Wahrheit Gespensterstädte, unter dem Asphalt die Trümmer, in denen die Archäologen zu graben beginnen, Totenstädte".
Iris Berben
Iris Berben zählt zu den bekanntesten und renommiertesten deutschen Schauspielerinnen und belegt in Umfragen nach der erotischsten und schönsten Frau Deutschlands regelmäßig Spitzenplätze. In Hamburg aufgewachsen, wurde sie bereits mit 17 einem breiteren Publikum durch ihre gemeinsamen Auftritte mit Ingrid Steeger in der Serie "Zwei himmlische Töchter" bekannt. Seit den 70er Jahren tritt sie in unzähligen deutschen Filmen, Fernsehspielen und -serien auf. Heute ist sie vor allem als Kommissarin in der Krimi-Reihe "Rosa Roth" im ZDF zu sehen.
Aber es gibt für Berben auch ein Leben neben der Bühne. Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 reiste sie erstmals nach Israel. Der Nahost-Konflikt beschäftigt sie bis heute. 2002 erhielt sie den Leo Baeck-Preis des Zentralrates der Juden in Deutschland auf Grund ihres kontinuierlichen Engagements gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und für das Existenzrecht des Staates Israels in sicheren Grenzen. Bekannt sind ihre Lesungen aus dem "Tagebuch der Anne Frank". Im RadioKulturhaus las sie aus Robert Neumanns Roman "Die Kinder von Wien", den der Eichborn Verlag wiederaufgelegt hat.
Die Kinder von Wien
Der Roman entführt uns in einen Wiener Keller im Nachkriegsjahr 1946. Jid, Goy und Ewa heißen drei der sechs Kinder, die sich durch Diebstahl, Prostitution und Hehlerei durch das Nachkriegschaos schlagen und sich aus dem Glück ihrer anarchistischen Freiheit ebenso wenig machen wie aus dem allgegenwärtigen Mangel. Sie kennen nichts anderes. Ihre Perspektive ist der Blick nach oben, durch die Schächte zum Licht, und was sie sehen, sind nackte Füße, Sandalen, kaputte Stiefel und den Exnazi in alliierten Diensten, der sie aus ihrem Ruinenkeller zu vertreiben, den schwarzen Armee-Pastor, der sie zu retten versucht.
Des Ano
Den musikalischen Part des Abends übernahmen: Des Ano, mit Max Gruber (Gesang), Claus Riedl (Geige, Gesang, Gitarre), Peter Havlicek (Kontragitarre, Gesang), Walther Soyka (Harmonika, Gesang) und Traude Holzer (Gesang). Des Ano ist die Fortsetzung einer typisch österreichischen Musik- und Literaturtradition, vor allem in seiner Wienerischen Ausprägung von Poesie und Musik, die mit Namen wie Abraham a Sancta Clara, mit Nestroy, Jandl, Bayer, Artmann und Qualtinger untrennbar verbunden ist. Des Ano spielten einige Nummern aus ihrem aktuellen Programm "Film Noir".
Text: Georg Tidl
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Eichborn Verlag.
Iris Berben liest "Die Kinder von Wien"
Dienstag, 18. März 2008
19:30 Uhr
Großer Sendesaal
Links
Eichborn Verlag
Iris Berben
Des ano
