In memoriam Gert Jonke: "Platzen Plötzlich"
Gert Jonkes und Martin Grubers Stück "Platzen Plötzlich" ist eine groteske Parabel auf die Wachstumsgesellschaft. Dazu ein Interview mit dem jüngst verstorbenen Dichter.
Herr Jonke, in Ihrem Stück "Platzen Plötzlich" wird eine fiktive Vergangenheit geschildert, in der langhaarige Menschen als Gartenhecken arbeiten, während die Pflanzen eine botanische Weltmusikkultur erschaffen. Was fasziniert Sie an Pflanzen?
Jonke: Eigentlich haben Pflanzen ein ewiges Leben. Der Tod tritt nie ein, denn bevor der Pflanzentod eingetreten ist, ist schon ein Same oder eine Wurzel oder ein Trieb weitergewachsen. Außerdem interessiert mich ihr Tempo. Dadurch, dass sie so langsam sind, würden sie - hätten sie Augen - alles um sich herum in rasender Geschwindigkeit wahrnehmen. Wenn wir Menschen in einer anderen Geschwindigkeit leben würden, wären wir ganz andere Wesen, die von den Wesen, die wir jetzt sind, gar nicht entdeckt werden könnten. Wenn die Menschen 100.000 Jahre leben würden, wären sie so langsame Organismen, dass sie bei Tag die Sonne als einen weißen Kreis auf einem schwarzen Himmel wahrnehmen würden. Man muss sich folgendes vorstellen: Wir stehen in einer Ebene, in diesem Moment. Die Zukunft stürzt - die Gegenwart gibt es gar nicht, so schnell geht sie vorbei - als ein großer Wasserfall auf uns herunter wie auf begossene Pudel und drängt durch unser Gedächtnis hinter uns in den Raum, in die so genannte Vergangenheit, die Erinnerung. Jetzt stelle ich mir vor, dieser Wasserfall, die Zukunft, gefriert plötzlich. Dann hätten wir Zeit, um aus dem Wasserfall herauszutreten und um ihn herumzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass wir dann Momente haben würden, in denen wir alles genau wissen, eine umfassende Erkenntnis, die wir aber gleich wieder vergessen haben.
Was müsste geschehen, damit die Zukunft gefriert?
Das weiß ich doch nicht. Das kann man nicht wissen.
In Ihrem Stück kreist alles ums Wachsen. Dabei geht es auch um eine aufgeblasene Ökonomie. Sie selbst haben in einem Interview gesagt „Irgendwann wird das alles platzen“. Was fürchten oder erhoffen Sie vom Ende des Kapitalismus - so es kommen sollte?
Es wird ja nicht kommen, weil die Gier ja nie aufhört. Wenn alles kaputt ist, wird man wieder von vorne anfangen und sich wieder weiter gegenseitig übervorteilen.
Die Figuren in Ihrem Stück befinden sich in einem Gewächshaus und ziehen einen Quittenbaum auf, der monströse Ausmaße annimmt. Warum die Quitte?
Eine Quitte ist etwas Merkwürdiges, essen können Sie das nicht. Ballspielen kann man damit auch nicht, dazu ist sie zu hart. Findige Leute haben aber einmal herausgefunden, dass die Quitte ein wunderbares Grundmittel zum Einkochen ist.
Sie treten in dieser Produktion erstmals als Schauspieler auf und halten eine Politikerrede ans Publikum. Was hat der Dramatiker Jonke vom Schauspieler Jonke gelernt?
Vor allem hat mir der Herr Gruber (Martin Gruber, Co-Autor und Regisseur des Aktionstheater Ensembles) viel beigebracht. Der Text entspricht mir vollkommen, wahrscheinlich kann nur ich ihn so gut sprechen. Ich bin mit dem Text identisch, daher ist "lernen" der falsche Ausdruck. Wir haben uns auf eine Fassung und auf mir entsprechende Bewegungen geeinigt. Wenn ich mich gleichzeitig bewege und spreche, entsteht ein furchtbares Durcheinander in meinem Gehirn. Die Körpersprache und Sprechsprache zu koordinieren, ist das erste was ein Schauspieler bewältigen muss.
Wie darf man sich die Erarbeitung des Stücks vorstellen?
Martin Gruber und ich haben das Stück gemeinsam geschrieben. Es ist in sehr kurzer Zeit entstanden. Wir haben uns oft getroffen, sind mit dem Dramaturgen (Martin Ojster - Anm. d. Red.) zusammengesessen. Nach den jeweils wöchentlichen Sitzungen habe ich mich vorbereitet und begonnen einen Text zu diktieren, und die beiden haben Einwürfe gemacht und ihre Einfälle dazugegeben. Wir haben also gemeinsam geschrieben. Um ein Stück allein zu schreiben, fehlten die Rahmenbedingungen, ich brauche für ein Stück oft sehr lang, bis zu einem Jahr. Deshalb haben wir alles gemeinsam gemacht.
Mit Gert Jonke sprach Gudrun Hamböck.
Eine Produktion des Aktionstheater Ensembles.
Regie: Martin Gruber.
Mitwirkende: Babett Arens, Maximilian Achatz, Kirstin Schwab, Werner Landsgesell und Roswitha Soukup.
Sound: Franz Pomassl und Studenten der Akademie der bildenden Künste.
Musik/Lieder: Tini Trampler und Stephan Sperlich.
Ausstattung: Valerie Lutz.
Dramaturgie: Martin Ojster.
In Memoriam Gert Jonke: "Platzen Plötzlich"
Donnerstag, 22. Jänner 2009
19:30 Uhr
Großer Sendesaal
Link
Aktionstheater Ensemble