Sprachgeschenke für Friederike Mayröcker

Mit ihrem jahrzehntelang kontinuierlich weitergewebten Werk ist sie eine der faszinierendsten Dichtergestalten des deutschsprachigen Raums: Zum 85. Geburtstag wurde sie von Freund/innen und Wegbegleiter/innen in Lesungen und Gesprächen gefeiert.

Friederike Mayröcker genießt mit ihrer zettelübersähten Wohnung und ihrer manischen Arbeitsweise Kultstatus quer durch alle Generationen. Heuer wird sie 85 Jahre alt. Im RadioKulturhaus traten Freund/innen und Wegbegleiter/innen der Dichterin auf und feierten sie in Lesungen und Gesprächen – wie Bodo Hell, Peter Weibel, Klaus Schöning, Elisabeth von Samsonow und Liesl Ujvary. Friederike Mayröcker selbst las zu Beginn des Abends aus ihrem jüngsten Buch "dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif". Den musikalischen Teil gestaltete der Pianist Peter Ponger mit eigens für diesen Anlass komponierten Stücken. Durch den Abend führte Irene Suchy. Unter den Auftretenden war auch die Lyrikerin Sonja Harter, die im RadioKulturhaus schon im März 2007 mit Friederike Mayröcker einen Lyrik-Abend gestaltete. Sonja Harter über die Dichterin:

Friederike Mayröcker. Eine Wirklichkeit.

Sie nimmt die Farbe ihrer Umwelt an. Das Semikolon rast auf sie zu und die Amsel ist ihr Blutsbruder (im Pappelskelett singend, als hätte es keinen Winter gegeben).

Friederike Mayröcker verliert sich so an die Menschen. Und in der Beschreibung (nämlich: Vertonung) von im Wind geblähten Plastiksäcken vermag sie eine Liebe deutlich zu machen, die über den Tod hinausgeht. Am 20. Dezember wird Friederike Mayröcker, die sich ganz identisch mit der Welt der Jungen fühlt und es auf mit Worten kaum fassbare Art auch i s t, 85 Jahre alt.

Eine Annäherung zum Verstehen ihres Schreibens lieferte Friederike Mayröcker vor kurzem selbst, als man ihr in Gmunden ein Fest ausrichtete: Sie halte es mit Maria Lassnig und deren Begriff der "Body Awareness": Während im Rahmen der Ausstellung "Das neunte Jahrzehnt" im MUMOK zum 90. Geburtstag der Malerin ganz Wien mit einem Selbstporträt der nackten und eine Waffe auf sich selbst und den Betrachter richtenden Maria Lassnig plakatiert war, transformiert Mayröcker diese schonungslose Entblößung, augenzwinkernde Warnung, ja ungeschminkte Realität des Alterns in Worte. Sie arbeite in den vergangenen Jahren zunehmend "sehr eng an der Wirklichkeit", sagt sie. Nachsatz: "Ich wüsste nicht, worüber ich sonst schreiben sollte."

Es ist eine ganz eigene Wirklichkeit, in der Mayröcker etwa Jacques Derrida, Gertrude Stein oder Ernst Jandl in die fragile Gegenwart der Buchseiten holt und ihnen einen tiefen Atemzug ihrer Realität gewährt. Zuletzt war es Hölderlin, dem Mayröcker mit "Scardanelli" einen ganzen Band gewidmet hat. Und die Grenzen des realen und des erdachten Ichs verschwimmen: "Ich bin so traurig jetzt und habe Angst vor dem / Verlassen dieser Welt die ich so sehr geliebt mit ihren Blüthen / Büschen Bäumen Monden mit ihren wunderbaren nächtlichen / Geschöpfen."

Mit Friederike Mayröcker zu korrespondieren oder auch von ihr gelesen - oder gehört (die Komponisten) - zu werden, ist auf eine wundersame Art gefährlich: Sie zaubert seit Jahrzehnten Versatzstücke von Gehörtem, Gelesenem und Gesehenem (ihre Liebe zur bildenden Kunst zieht sich durch ihr Werk) aus ihren mit Zetteln prall gefüllten Körben, pflückt mit Wäschekluppen befestigte Zitate aus ihrer Schreibstube und montiert sie mit ihren eigenen Weltgedanken.

Und das ist nicht zum Nachteil des "entwendeten" Wortes: Während Carl Einstein noch von den "Scherben eines gläsernen, gelben Lampions", schrieb, die "auf die Stimme eines Frauenzimmers (klirrten)", hieß es später bei Mayröcker - als Zitat ausgewiesen, auf die Poesie des Eindrucks verdichtet und wohl als treffendste Selbstbeschreibung: Die Scherben eines gläsernen Frauenzimmers. Friederike Mayröckers Schreiben ist ein "Lob des Fragments", wie eines ihrer Gedichte betitelt ist. Fragmente einer Welt, eines Gartens, funkelnd wie seine Gewässer.

Text: Sonja Harter

Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Friederike Mayröcker Gesellschaft.

Sprachgeschenke für Friederike Mayröcker
Freitag, 11. Dezember 2009
19:30 Uhr
Großer Sendesaal

Buchtipps
Friederike Mayröcker: Gesammelte Prosa 1949-1975, Suhrkamp
Friederike Mayröcker: dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif, Suhrkamp
Sonja Harter: einstichspuren,himmel.gedichte, Leykam

Hörtipp
Ein Zusammenschnitt der Veranstaltung ist in der Sendung Ö1 Extra am 20. Dezember um 21:15 Uhr zu hören.

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