"Der Präparator" - Martin Schwab und das Klangforum Wien
Giorgio Battistellis Stück beruht auf einem Text von Renzo Rosso in der Übersetzung von Sabine Heymann. "Der Präparator" wurde von NetZZeiT im Rahmen des Festivals "Out of Controll" produziert. Sprechrolle: Burgschauspieler Martin Schwab. Musik: Klangforum Wien unter der Leitung von Johannes Kalitzke. Klangregie: Peter Böhm und Florian Bogner.
Der Regisseur Michael Scheidl zum Projekt:
"Alles ist machbar" und "Perfektion ist selbstverständlich" waren die Maximen der westlichen Marktwirtschaft und die beliebtesten Siegesschreie am Schlachtfeld des Kalten Krieges angesichts des am Boden zerstörten Kommunismus in den 80ern und 90ern. Noch einmal wurden diejenigen Regime mit einem nostalgischen Lächeln bedacht, die ihren Völkern nichts anzubieten hatten als Knappheit und notdürftige Reparaturen an allem und jedem.
Kaum 20 Jahre später sind Perfektion und totale Machbarkeit durch Wirtschaftskrise, Klimakatastrophe, Ressourcenknappheit und längst eingetretener Überwachungsgesellschaft Geschichte, und das Festival Ars Electronica 2010 ruft mit dem mutigen, optimistischen und revolutionären Motto "repair" eine völlig neue, romantische Zukunftsperspektive aus: Die Krisen sind eingetreten, also keine Energien auf Vermeidung mehr verschwenden, sondern Ärmel aufgekrempelt und schon wird losrepariert, denn: Das reparierte Objekt wird individuell, indem es stolz die Spuren der Reparatur trägt, es tritt in eine vertiefte persönliche Beziehung zum Reparierenden, da dieser dessen Funktionsweise kennenlernt und darüber hinaus wird Müll vermieden.
Also: Schluss mit Perfektion und Wegwerf-Mentalität, es lebe der Pfusch - machen wir's wieder russisch! Eine späte Rache des Kommunismus… Sollte der überhebliche westliche Homo Consumens nach 2000 Jahren brutaler Eroberung, Vereinnahmung und Vernichtung fremder Länder und Andersdenkender am Ende gar wieder ein sympathischer Zeitgenosse werden? Um das herauszufinden, könnte ein Besuch des Lenin-Mausoleums, das im Großen Sendesaal des RadioKulturhauses samt Mumie und deren betreuendem Präparator gastiert, nützlich sein: Dr. Alexander Mischin aus dem Institut für Anatomie des Volkes hält ein Zwiegespräch mit Wladimir Ilitsch Lenin oder besser gesagt mit dessen einbalsamierter Leiche, für deren tadelloses Äußeres er zuständig ist.
Was der Doktor dem berühmten Revolutionär alles zu erzählen hat - vom Kaufpreis, den ihm amerikanische Investoren geboten haben, würde er Wladimir Ilitsch für sie entführen, über die Misere der aktuellen politischen und ökonomischen Verhältnisse, seine persönliche Version über Lenins wahre Beweggründe für die eine oder andere historische Tat, bis hin zu den Mutmaßungen über Lenins Sexualleben und sein eigenes - erfahren wir alles Mögliche über Pfusch in der Weltpolitik, ein verpfuschtes Leben und sogar Pfusch an einer Mumie.
Von seinen inneren Stimmen (Klangforum Wien) akustisch umbrandet, bewohnt der Schauspieler Martin Schwab die Insel nostalgischer Seligkeit zusammen mit jenem berühmten Mann, dem einst Millionen atemlos zuhörten und dessen einziges Publikum er nunmehr geworden ist. Das Klangforum Wien, das renommierte (und übrigens demokratisch organisierte) Ensemble für Neue Musik, interpretiert gemeinsam mit dem Regie- und Ausstattungsteam Nora und Michael Scheidl das musikalische Kammerlustspiel um den Vater des Kommunismus.
Giorgio Battistellis und Renzo Rossos "L'Imbalsamatore" ist die sechste gemeinsame Bühnenarbeit von netzzeit und dem Klangforum Wien unter der musikalischen Leitung von Johannes Kalitzke. Erarbeitet wird das Stück als komödiantische Parabel über in Wahrheit längst verstorbene Zivilisationen, Kulturen und Systeme wie Kommunismus und Kapitalismus, aber auch als Parabel über den rührenden Versuch, gegen alle Offensichtlichkeit ihre Lebendigkeit zu behaupten.
Text: Michael Scheidl
Service
"Der Präparator" - Martin Schwab und das Klangforum Wien
Samstag 22., Freitag 28. und Samstag 29. Jänner 2011
19:30 Uhr
Großer Sendesaal
Links:
Netzzeit
Klangforum Wien