Sepp Dreissinger: "und, also, aber": Über Thomas Bernhard reden

Sepp Dreissinger zeigte eine doppelte Nahaufnahme der "Sphinx von Ohlsdorf".

An die 60 Menschen rund um Thomas Bernhard hat Sepp Dreissinger, Fotograf, Filmemacher und Herausgeber, zum Reden gebracht, so zum Beispiel Bruder Peter Fabjan, Burgschauspieler Gert Voss, Freundin Gerda Maleta oder Lektor Raimund Fellinger. Das entstandene Erinnerungsarchiv wurde nun zu Thomas Bernhards 80. Geburtstag ein Stück weit geöffnet.

In der 40-minütigen Filmdokumentation "und, also, aber" sind die Highlights zusammengeschnitten, im Buch "Was reden die Leute" ist ein Großteil der Statements nachzulesen. Im Anschluss an den Film im Gespräch: Sepp Dreissinger, Bernhard-Experte Manfred Mittermayer und Peter Fabjan. Moderation: Günter Kaindlstorfer.

Dreissingers Fotoausstellung "Das führt alles zu nix" ist ab 3. Februar in der Galerie Westlicht zu sehen.

Interview mit Sepp Dreissinger

Wie kann man sich Fototermine mit Thomas Bernhard vorstellen?

Es waren meistens einfache Treffen, Gespräche. Man hätte nie mit dem Gedanken eines Fototermins zu ihm hinfahren können. Wenn er zufällig da war und dazu noch gut aufgelegt und redselig, dann hat man eben geredet. Und wenn man am Schluss gefragt hat, ob man noch ein paar Fotos machen darf, hat er immer gesagt "selbstverständlich". Aber es war ihm immer das Gespräch am Wichtigsten. Am Graben konnte man ihn, auch ohne etwas mit ihm ausgemacht zu haben, manchmal antreffen. Er ist, wenn ihm langweilig war, einfach auf- und abgegangen, um eventuell Leute zufällig zu treffen, die er kennt. Das würde man bei Bernhard eigentlich nicht vermuten.

Was hat Sie an Bernhard fasziniert?

Seine Intensität und seine Kompromisslosigkeit. Er hatte eine Ausstrahlung, eine Aura wie ich es vorher und nachher bei keinem Künstler erlebt habe. Wenn du einmal Thomas Bernhard begegnet bist, hat das dein Leben irgendwie verändert. Dieses Phänomen ist auch das Thema der ca. 60 Filminterviews, die ich jetzt, zwanzig Jahre nach Bernhards Tod, mit Menschen aus seinem Leben geführt habe.

Bernhard meinte einmal, das einzige Bild, das bei ihm in der Wohnung hängt, wäre ein Bildnis Josephs des Zweiten. Wie war sein Verhältnis zu Bildern?

Ich habe die Häuser auch innen filmen dürfen, da hängen ganz wenige Bilder. Er wollte sich immer befreien, sich nicht zukleistern mit irgendetwas. Er hatte auch keine Bücher in irgendwelchen Regalen, meistens nur leere Wände und vielleicht ein paar Stiche von irgendwelchen alten Meistern, die er sich beim Dorotheum gekauft hat.

Eines Ihrer berühmtesten Bilder ist jenes aus der Fotoserie Am Graben, auf dem drei Kinder hinter dem auf der Bank sitzenden Bernhard stehen. Wie kam dieses Foto zustande?

Das war spontan. An dem Tag habe ich ihn im Café Bräunerhof aufgesucht. "Schön, dass Sie da sind", hat er gesagt, "ich wollte Sie eh schon anrufen, dass wir neue Fotos machen!". Da war ich schon überrascht, das hatte er mir vorher noch nie gesagt. Wir haben eine Stunde gefrühstückt, danach habe ich ihn noch ein Stück begleitet - bei diesem Spaziergang vom Café Bräunerhof in Richtung Blutgasse sind diese Fotos entstanden. Er hat nie gesagt, wie man ihn fotografieren soll, nur einmal, eben dort Am Graben, hat er mir gesagt "das ist meine Lieblingsbank, da müssen'S mich fotografieren!". Auf einmal sind diese Kinder da: Die haben nicht gewusst, wer das ist oder was wir da machen, die waren einfach da und fanden es lustig, dem Thomas Bernhard über die Schulter zu schauen. Die Kinder sind einfach nach zehn Sekunden weitergerannt und Bernhard hat das gar nicht bemerkt, also ein ganz schön unschuldiges Foto.

Erzählen Sie über Ihr Film- und Buchprojekt.

Das Filmprojekt habe ich vor fünf Jahren begonnen. Der Film wird "Ich bin durch und durch glücklich" heißen, der Untertitel "Eine Thomas-Bernhard-Umkreisung von Sepp Dreissinger." Personen aus seinem Umfeld, die noch leben, habe ich aufgesucht und über ihre Erfahrungen mit dem Autor befragt: Nachbarn, Bauern und vor allem auch Familienmitglieder. Bernhards Halbschwester hat dabei das erste Mal überhaupt ein Interview über ihren Bruder gegeben. Das Buch wird ausführlicher sein, es wird nicht das Buch zum Film sein, es variiert: Manche Interviews, die im Buch sind, sind nicht im Film und umgekehrt. Es wird also ein Buch mit dem Titel "Was reden die Leute. 56 Begegnungen mit Thomas Bernhard, aufgezeichnet von Sepp Dreissinger", einen Film und eine Foto-Ausstellung in der Galerie Westlicht geben.

Rechnen Sie damit, einen neuen Bernhard-Boom auszulösen?

Für einen Bernhard-Boom braucht mich Thomas Bernhard sicher nicht. Es gibt noch immer viele Bernhard-Fans. Seine Sprache bzw. seine Literatur, das hat er mir und Kurt Hofmann in einem Interview selbst einmal gesagt, die ist bewusst so geschrieben, dass sie nicht veraltet. Er hat schon genau gewusst, was er tut und hat sich selbst ganz gut einschätzen können.


Das Interview mit Sepp Dreissinger führte Markus Brandstetter.

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Eine Veranstaltung mit Unterstützung der PRIVAT BANK AG der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich.

Service

Sepp Dreissinger: "und, also, aber": Über Thomas Bernhard reden
Dienstag, 1. Februar 2011
20:00 Uhr
Großer Sendesaal

Sepp Dreissinger
Galerie Westlicht
Müry Salzmann Verlag