Bad Boy of Music – George Antheil
Ob George Antheil (1900-1959) tatsächlich Regen herbeispielen konnte, mit Schlangenbeschwörerinnen nächtigte oder Kriege vorherzusagen vermochte, darf in Frage gestellt werden. Übel nimmt man dem charmanten Aufschneider und begnadeten Name-Dropper seinen saloppen Umgang mit der Wahrheit nicht, denn zweifellos war er eine der innovativsten und schillerndsten Komponistenpersönlichkeiten der 1920er Jahre.
George Antheils "The Golden Bird, after Brâncuşi": Ein einleitender Triller lässt den goldenen Vogel abheben und führt ihn von der naturnahen Beschreibung geradewegs – angelehnt an Strawinskys "Feuervogel" – in die wilde Moderne. Die Hommage an Constantin Brâncuşis abstrakte, hoch aufragende Skulpturen zeigt Antheils inhaltliche Nahe zur bildenden Kunst seiner Zeit. Als geplante visuelle Ebene für sein skandalträchtiges "Ballet Mécanique" entstand 1924 ein surrealistisch-dadaistischer Film von Dudley Murphy, Fernand Léger und Man Ray.
Wie Légers kubistische Bildkompositionen bietet auch Antheils Musik erst bei genauerer Betrachtung Orientierungspunkte. Ohne Zweifel: Der junge Georg Johann Carl Antheil, geboren 1900 als Sohn deutscher Einwanderer in Trenton, New Jersey, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sich kein bisschen um bestehende musikalische Formen zu scheren.

Gottlieb Wallisch
(c) Wolfgang Werzowa
Der Pianist Gottlieb Wallisch dazu:
"Ein klassischer Höreindruck soll von Anfang an klar und verständlich sein, man muss verstehen, was Beethoven im Verlauf eines Stückes, eines Taktes, mit einem Motiv macht. Bei Antheil steht da fürs Erste ein rotes Fragezeichen."
Antheils Zugang zum Klavierspiel hat einen extrem körperlichen Aspekt: Wiederholt vergleicht er seine Arbeit mit der eines Boxers, beschreibt, wie er seinen enorm geschwollenen Händen in zwei Goldfischglasern Kühlung bietet und führt lebhaft aus, wie während seines Spiels Schweiß "in breiten glitschigen Bächen" seinen Körper entlang läuft. Mag sein, dass er der Wahrheit hie und da mit einer ordentlichen Prise Testosteron nachgeholfen hat – die langen, kraftvollen Abschnitte und die rhythmische Komplexität der frühen Antheil-Kompositionen verlangen aber ohne Frage vollen Körpereinsatz. Rohheit und Klangsensibilität wirken dabei gleichermaßen, wie Gottlieb Wallisch betont:
"Motivfetzen, rhythmische Ideen knallen aufeinander: Nimm das – und das – und das. Der Zuhörer bekommt das um die Ohren geknallt, es peitscht richtiggehend vor Ideen und teilweise kakofonischen Einfällen. Die Grobheit und rhythmische Kraft des Höreindrucks ist dabei verbunden mit einer überaus hohen Klangsensibilität."
Inhaltlich ist es auch der Gegensatz zwischen Ursprünglichkeit und modernem Maschinenzeitalter, der Antheils Kompositionen Spannung verleiht. Archaische Trommelrhythmen in der zweiten Violinsonate lassen das Wilde, Ungezähmte und die maschinendominierte Moderne gleichermaßen erklingen.
Im "Ballet Mécanique" setzt er neben Flügeln, Sirenen und Flugzeugpropellern auch automatische Rollenklaviere ein, diese imitiert er wiederum in seiner Violinsonate, spielt mit ungeheurer Kraft und Präzision unglaublich schnelle, rhythmische Kaskaden. Antheil führt damit den Seinszweck des Pianolas grandios ad absurdum – der Pianist wird zur Maschine. Auch seine Sonate "Death of the Machines" illustriert so zugleich die Schönheit und die Gefahr, die seinem Zeitalter innewohnen. So kann man seine frühen Kompositionen als geradezu romantisch auffassen, das "Ballet Mécanique" bezeichnete Antheil selbst als "ein 'romantisches' Werk, das alle Hürden und Regeln zerbricht und aus den Bruchstücken blüht."

Karl Markovics
(c) Robert Newald
Vermutlich war es sein vergleichsweise zahmes Spätwerk als Filmkomponist in Hollywood, das die Erinnerung an den bahnbrechenden Komponisten verblassen lies. Gottlieb Wallisch brachte ein Programm mit Klavierstücken aus Antheils avantgardistischen 20ern auf die Bühne des Großen Sendesaals.
Der Schauspieler Karl Markovics gestaltete den literarischen Teil des Abends. Neben zahlreichen Auftritten in Fernseh- und Theaterproduktionen glänzte Markovics u.a. als Salomon Sorowitsch in Stefan Ruzowitzkys Oscar-prämiertem Drama "Die Fälscher". "Atmen", sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor, wurde 2011 in Cannes ausgezeichnet und gewann den Österreichischen Filmpreis 2012 in sechs Kategorien. Im RadioKulturhaus lieh Karl Markovics dem genialen "Kraftlackel" Antheil seine Stimme – ausgewählte Stellen aus dessen Autobiografie "Bad Boy of Music" (Europäische Verlagsanstalt) ließen neben dem Komponisten selbst Salvador Dalí, Ernst Krenek, Hedy Lamarr oder auch Igor Strawinsky auftreten.
Text: Susanne Berndl
Anzeige
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Kulturabteilung der Stadt Wien.
Service
Bad Boy of Music – George Antheil
Freitag, 24. Mai 2013
19:30 Uhr
Großer Sendesaal
Gottlieb Wallisch