Zulya and The Children of the Underground

Die russisch-tartarisch-australische Sängerin Zulya, "Artist of the Year 2012" des Australischen World Music Awards, kam im Zuge ihrer Welttournee mit ihrer Band und einem World-Music/Singer-Songwriting-Programm ins RadioKulturhaus.

Auf Zulyas sechstem Album "Tales of Subliming" findet sich das Stück "The Water Woman and the Orphan Girl": Ein Waisenmädchen entdeckt auf der Oberfläche eines Teiches die Gestalt einer Wasserfrau, deren Verführung sie sich erfolglos zu entziehen versucht. Das Mädchen springt in den Teich, um eins mit der Wasserfrau zu werden und der Welt zu entfliehen.

Dieses Stück trägt vieles von dem in sich, was Zulya and The Children of the Underground auszeichnet, spiegelt sprachlich und inhaltlich die Herkunft der Sängerin, zeigt das musikalische Können der Band und illustriert Themen, die sich durch die Musik Zulyas ziehen. Die romantische Interpretation des Narziss- Mythos basiert auf einem tatarischen Märchen und stammt damit aus dem reichen Fundus der Kultur, in die Zulya hineingeboren wurde.

Zulya

(c) Peter Mathew

Zulya ist Tatarin. Die Zahl der Sprecher dieser Turksprache umfasst heute knapp 8 Millionen weltweit und 5,8 Millionen in Russland. Zulya Kamalova wuchs in Sarapul auf, einer Stadt in der Republik Udmurtien, die etwa auf halbem Weg von Moskau nach Omsk liegt. Sie studierte in Perm, bevor sie 1991 nach Australien zog – wo sie in den letzten Jahren alle einschlägigen Preise im Bereich World Music gewonnen hat.

Der Beginn ihrer Karriere war maßgeblich von tatarischen Einflüssen geprägt, so Zulya:
"Damals schrieb ich meine Songs hauptsächlich in tatarischer Sprache, die Motive standen ganz in dieser Tradition, etwa das Einsetzen der pentatonischen Tonleiter oder die Wahl von typischen Instrumenten wie der Maultrommel. Die Einflüsse sind mittlerweile subtiler geworden: Wenn es dem Konzept des Albums entspricht, beziehe ich tatarische Lyrics mit ein. Ich mache immer wieder gerne Musik für das tatarische Publikum, aber nachdem ich lange in Russland und Australien gelebt habe, schreibe ich meine Songs auch in englischer und russischer Sprache. Der Fokus liegt auf dem Anspruch, einfach gute Musik zu machen."

Dieser Anspruch erfüllt sich in jedem Stück von Zulya and The Children of the Underground: Durch Zulyas eindrucksvolle Stimme, ihr ausgefeiltes Songwriting und die aufwändigen Arrangements ihrer exzellenten Mitmusiker. Neben eingängigen Melodien sind es vor allem rhythmische Aspekte, die Spannung verleihen – Pausen, rhythmische Überlagerungen und unerwartete Akzentuierungen.

So transformiert sich im eingangs erwähnten Stück ein wiegender, fast "walzender" 6/8-Takt in ein irres Ringelreihen im rauschhaften 4/4-Takt – und symbolisiert damit kunstfertig den Abgrund jenseits des beruhigenden Märchen-Tableaus. Musik und Stimme laden immer wieder zu Schreittänzen ein, fordern zum "Weißwind-Tango" oder zum "Walzer der Leere" auf. Es mag an klassisch mitteleuropäischen Hörgewohnheiten liegen, dass man immer wieder Walzertakte in Zulyas Songs zu entdecken vermeint. Oft sind es "falsche" Walzer, schleppt sich die Vier dem vermeintlichen Walzertakt hinterher.

An anderer Stelle unterstreicht der vor allem auch in der Balkan-Musik populäre 7/4-Takt raffiniert eine inhaltliche Orientierungs- und Rastlosigkeit. Der gekonnte Einsatz der Bläser in den Arrangements des Albums "Tales of Subliming" erzeugt mit Präzision und einer Prise Tom Waits eine Stimmung " ... zwischen Jahrmarkt und Salon, Theater und Zirkusmanege" (Johann Kneihs).

Doch wer glaubt, Zulyas Welt erfasst zu haben und so die "Kinder des Untergrunds" als düster-romantische Gefährten aus dem Unbewussten deutet, der sieht nur die Hälfte. Zulya zum Namen der Band:
"Ich lebte in den frühen 2000ern ein Jahr lang in Moskau, man verbringt dort täglich viel Zeit unterirdisch. Damals schrieb ich mein russisches Album, das erste mit 'The Children of the Underground'. Der Name steht in Zusammenhang mit der Idee eines finsteren tiefen Ortes, dem wir alle angehören und – um die U-Bahn-Allegorie weiterzuspinnen – dem wir nicht wirklich entkommen können, während wir auf einem rasanten Trip durchs Universum sind."

Meint man sich eben noch durch das Carrollsche Kaninchenloch in eine phantastische Parallelwelt gefallen, landet man zugleich immer auch auf einer Ebene der realen Welt. Über die Katakomben der U-Bahn, eines urbanen Ortes par excellence, sind wir alle verbunden – unabhängig von Zugängen wie Nation oder Kultur. "Subliming" zeigt sich als doppeltes Programm: Es steht für wundersames Dematerialisieren, für ein Verschwinden aus der Welt – und innerhalb der Welt von einem Ort zum anderen.

Zulya and The Children of the Underground bieten ein Programm aus ihren letzten drei Alben und werden auch das eine oder andere neue Stück darbringen. Mit Zulya Kamalova auf der Bühne des Großen Sendesaals: Anthony Schulz (Akkordeon), Lucas Michailidis (Gitarre), Andrew Tanner (Kontrabass, Maultrommel), Justin Marshall (Schlagzeug) und Eamon McNelis (Trompete).

Text: Susanne Berndl

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Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Russischen Kulturinstitut.

Service

Zulya and The Children of the Underground
Samstag, 5. Oktober 2013
19:30 Uhr
Großer Sendesaal

Zulya and The Children of the Underground