Hartmut Rosa

JÜRGEN SCHEERE

Im Zeit-Raum: Hartmut Rosa

Johannes Kaup spricht mit dem vielfach ausgezeichneten Soziologen über "Resonanz und das gute Leben".

Spätestens seit seinem Buch "Resonanz – Soziologie einer Weltbeziehung" gehört Hartmut Rosa zu den bekanntesten Soziologen des deutschen Sprachraums. Und das nicht ohne Grund. Sein Buch wird mittlerweile als ein Gründungsdokument einer Soziologie des guten Lebens gelesen. Mit seiner fundamentalen Kritik an der Beschleunigung unserer Lebensverhältnisse, den polit-ökonomischen Wachstums- und Optimierungszwängen und der zweckorientierten Verfügbarmachung der Welt, trifft Hartmut Rosa den Nerv unserer Zeit. Messerscharf analysiert Rosa alle untauglichen Versuche, unsere Lebensqualität durch Anhäufung von Ressourcen, Wahlmöglichkeiten und konsumierbaren Glücksmomenten zu suchen. Auf diesem Weg landet nicht nur der Mensch, sondern auch unser Lebensraum, die Erde, sprichwörtlich im Burnout. Wenn wir die tieferen Gründe verstehen wollen, warum wir – sowohl individuell als auch kollektiv – überall an existenziell gefährliche Grenzen stoßen, müssen wir uns mit unserer Beziehung zur Welt beschäftigen. Denn unsere Weltbeziehung prägt unser Leben und unsere Zeit. Und Zeit ist nicht Geld, sondern Leben.

Um Leben und Lebendigkeit geht es Hartmut Rosa auch in seinem Buch "Unverfügbarkeit". Darin zeigt er auf, warum sich der Mensch in der Moderne von der Welt entfremdet hat. Er hat die Welt ökonomisch und technisch verfügbar gemacht, mit dem Ziel, sie wissenschaftlich beherrschbar zu machen. Die berechenbare Welt soll politisch steuerbar und alltagspraktisch kontrollierbar werden. Doch diese verfügbar gemachte Welt, so argumentiert Rosa, verstummt. Weil wir sie total objektiviert haben, sind wir nicht mehr im Dialog mit ihr. Dagegen setzt Hartmut Rosa die Resonanz. Sie ist eine antwortende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht-verfügbaren Welt. Zur Resonanz kommt es, wenn wir uns auf Fremdes, uns Irritierende einlassen, auf das, was wir nicht kontrollieren können. Daher ist Resonanz ein Ereignis des Antwortens, das uns und unsere bisherige Weltbeziehung verändert.

Rosa bleibt nicht bei der Analyse und Kritik unserer Beziehung zur Welt stehen. Er zeigt auch Wege auf, wie wir den multiplen Krisen unserer Zeit realistisch – das heißt auch mit Zuversicht – begegnen können. Unsere Fähigkeit zur Resonanz ist für ihn die tiefste Revolution: Sie wäre imstande, unser bisheriges instrumentelles Weltverhältnis grundlegend zu verändern, und ist das Fundament für ein gutes Leben für alle.

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In Kooperation mit der Tageszeitung "Die Presse"