Klaus Kastberger, Raphaela Edelbauer, Doron Rabinovici

v.l.n.r. Klaus Kastberger (c) Clara Wildberger, Raphaela Edelbauer (c) Mafalda Rakoš, Doron Rabinovici (c) Lukas Beck

Literatur ist der Rede wert – Die literarische Soirée

Eine prominente Kritiker:innenrunde diskutiert internationale Neuerscheinungen. Die "Literarische Soirée" bietet Meinungen, Einschätzungen und vor allem Lesetipps für Literatur-Aficionados. Zu Gast bei Christine Scheucher sind Raphaela Edelbauer, Klaus Kastberger und Doron Rabinovici.

Wie aus einem Trauma ein Traum erwächst, beschreibt Salman Rushdie, der wohl größte lebende Autor des indischen Subkontinents in seinem neuen Roman „Victory City“. Dreh- und Angelpunkt dieses vielstimmigen Meisterwerks des Fabulierens ist ein fiktives Versepos, dessen Heldin feministischen Kampfgeist beweist. In seinem Debütroman „Der perfekte Schuss“ versetzt der französischen Goncourt-Preisträgers Mathias Énard Leser und Leserinnen in die Perspektive eines Scharfschützen. 20 Jahre nach dem französischen Original ist nun die deutsche Übersetzung erschienen. Auf Poetry-Slam-Bühnen begeisterte die österreichische Autorin Lena Hödl das Publikum, in ihrem aktuellen Erzählband „Ungeheuer“ nähert sich Hödl einer Uremotion des Menschen und beschwört Spielarten der Angst.

"Literatur ist der Rede wert. Aber auch der Gegenrede. Eine offene Diskussion über Bücher gehört zu einer offenen und freien Gesellschaft. Es kann von solchen Verständigungsformen gar nicht genug geben. Gerade auch hierzulande. Hier und heute in Österreich", sagt der streitbare Literaturprofessor und Bachmannpreis-Juror Klaus Kastberger, der auf dem deutschsprachigen Literaturparkett für seine temperamentvollen, um nicht zu sagen hitzigen Diskussionsbeiträge bekannt ist. Im Grazer Literaturhaus hat der ausgewiesene Bernhard-Kenner die Literaturshow "Roboter mit Senf" aus der Taufe gehoben, die vom jungen Publikum gestürmt wird. In Klagenfurt hat er nicht zuletzt mit seinen launigen Wortgefechten mit so manchem Jurykollegen aufhorchen lassen. Kastberger zeigt: Analysen mit Tiefenschärfe können kurzweilig sein.

Mit ihrem Roman "DAVE" schrieb sich Raphaela Edelbauer ins Science-Fiction-Genre ein und erzählte von einer Gesellschaft, in der die Allmacht der Algorithmen längst Wirklichkeit geworden ist. Ihre literarisch raffinierte Darstellung von Risiken und Nebenwirkungen der künstlichen Intelligenz überzeugte die Kritik: 2021 wurde die damals 31-jährige Autorin mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet. Dass Edelbauer nicht nur der Blick in die Zukunft, sondern auch jener in die Vergangenheit beflügelt, hat sie mit ihrem aktuellen Roman "Die Inkommensurablen" bewiesen, der eine kaleidoskopische Sicht auf die Welt vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs bietet. Als Gründungsmitglied der Pataphysischen Gesellschaft macht Edelbauer eine gute Figur. Mit Verve betritt sie auch das literarische Debattenfeld.

Christine Scheucher

Christine Scheucher (c) Clemens Fantur

Er zählt zu Österreichs führenden Intellektuellen, wenn es darum geht, Solidarität mit jenen einzufordern, die auf der Seite der Verlierer gelandet sind. Gemeinsam mit Elfriede Jelinek protestierte Doron Rabinovici bereits in den 1990er Jahren gegen Ausländerhass und Sozialabbau. Rabinovici zieht sich nicht in die Schreibstube zurück. Er erhebt seine Stimme, wenn Ungerechtigkeiten und politische Asymmetrien engagiertes Handeln verlangen. Im literarischen Disput beweist Rabinovici, dass sich analytischer Weitblick mit dem Sinn für das Schöne verbinden lässt. "Literatur ist der Rede wert, weil offene Diskussionen zeigen, dass es keinen Text ohne Kontext gibt", so Doron Rabinovici.

Wenn die Welt in die Kleinstadt kam, war die Aufregung groß und die Wissbegierde unermesslich. Bereits in jungen Jahren pilgerte die gebürtige Kärntnerin Christine Scheucher ins ORF-Landesstudio, um andächtig den Diskussionen der Bachmannpreis-Jury zu lauschen. Mit 14 Jahren wohnte sie Franzobels fulminantem Auftritt in Klagenfurt bei und wurde Zeugin, wie der damals 27-Jährige mit Sprachgewalt und Lässigkeit überzeugte. Seither ist die Leidenschaft für die literarische Debatte nicht verebbt. Literatur ist für die studierte Literaturwissenschafterin der Rede wert, weil die Konfrontation mit divergierenden Meinungen nicht zuletzt dazu dient, die eigenen Argumente zu schärfen.

Titel:
- Salman Rushdie "Victory City" (Penguin, übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben)
- Mathias Énard "Der perfekte Schuss" (Hanser, übersetzt aus dem Französischen von Sabine Müller)
- Lena Hödl "Ungeheuer" (Haymon Verlag)

Erstmals ist die Literarische Soiree im Video-Livestream auf unserer Webseite und in ORF Topos zu sehen.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit Ö1.