Gerti Drassl

(c) Yasmina Haddad

Christine Lavant Preis 2023

Christine Lavant Preisträger 2023 ist Yevgeniy Breyger. Den künstlerischen Rahmen der Preisverleihung gestalten eine der großartigsten Lavant-Interpretinnen, Schauspielerin Gerti Drassl, der international gefragte Saxophonist Edgar Unterkirchner mit Julia Hofer am Cello und Hannah Senfter an der Harfe.

"Mein täglicher Umgang" – so schreibt Christine Lavant 1957, 42 Jahre alt, in einem Brief – "besteht aus Menschen, die, wenn sie überhaupt was lesen, die Schundhefte jedem anderen Stoff vorziehen. Aber alle haben Humor und eine lebendige Fassungskraft, die den meisten Gebildeten abgeht." Nach fünf Buchveröffentlichungen in Deutschland und einem Gedichtband im Salzburger Otto Müller Verlag, hatte sie mit den "Gebildeten", insbesondere mit jenen des Literaturbetriebs, so ihre Erfahrungen gesammelt. In dem Brief heißt es weiter, dass sie nur "mit Hilfe von Humor und Mystik" einen "blitzartigen Überblick" über ihr Leben erlangen könne, um dann aber zu konstatieren: "Ich bin eben halt ein Kuriosum und meine geistige Situation liegt außerhalb jeder Norm. Meine Wissbegier langt brennend nach Philosophie, Psychologie, Metaphysik, Mystik…". Christine Lavant konnte sehr selbstbewusst sein.

Aber das Bild von der kauzigen Kettenraucherin aus der Kärntner Provinz, die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und von zahlreichen Krankheiten geschlagen war, die unter schweren Depressionen und Suizidfantasien zu leiden hatte, hat lange den Blick auf das faszinierende, facettenreiche und eigensinnige Werk verstellt. In den letzten zwanzig Jahren wurde es durch eine Vielzahl neuer Editionen erschlossen. Dabei wurde erstmals auch der umfangreiche Nachlass der Dichterin zugänglich gemacht. 1100 Seiten Lyrik und vierundzwanzig Erzählungen enthält die vierbändige Werkausgabe.

Porträt von Christine Lavant

Christine Lavant © Ernst Prokop

Christine Lavant - ERNST PROKOP

Die neue Beachtung der Autorin ist auch der 2015 gegründeten Internationalen Christine Lavant Gesellschaft zu verdanken, die mit einer Fülle von Aktivitäten eine neue Auseinandersetzung mit dem Werk Lavants anregt. Jedes Jahr wird auch der mit 15.000 Euro dotierte Christine Lavant Preis verliehen, zuletzt erhielten diesen Maja Haderlap (2021) und Alois Hotschnig (2022).
Gerne wird heute gesagt, Christine Lavant müsse gleichrangig neben Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann gestellt werden. Klar, Christine Lavant gehört in den Kanon der österreichischen Literatur nach 1945. Aber ihr Werk, in dem Kinder, Jugendliche, Frauen in menschenverachtenden Verhältnissen aufwachsen, in denen seelische Zerstörung und Demütigungen auf erschütternde Weise geschildert werden, und dabei eine überraschende Trotzigkeit, der Widerspruch gegen die soziale Enge und die "Gebildeten" erfahrbar werden, dieses Werk entzieht sich dem Vergleich. Christine Lavant behauptet als Gegenkräfte Liebe, Fürsorge, Güte, Schönheit und Witz, sie verteidigt die Würde des Menschen und feiert seinen Anspruch auf das Glück. Oder, um es mit der Schriftstellerin Monika Rinck zu sagen: "Bei Christine Lavant erlebt man die ungeheure Transformation von Schmerz und Leid in ein großes, kraftvolles und zuweilen immens komisches Werk."

Gerade im Jahr von Lavants fünfzigstem Todestag ist diese Würdigung von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die in ihrem literarischen Schaffen einen hohen ästhetischen Anspruch mit humaner Haltung und gesellschaftskritischem Blick vereinen, von besonderer Bedeutung.

Text: Klemens Renoldner