Porträt von Hubert Gaisbauer

Hubert Gaisbauer - ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Im Zeit-Raum: Hubert Gaisbauer

"Beziehung durch Zuhören" – Johannes Kaup im Gespräch mit dem Radiopionier Hubert Gaisbauer

Warum werden die "bilderlosen" Medien wie Radio und Podcasts von immer mehr Menschen genutzt, während das einstige Leitmedium Fernsehen stetig an Attraktivität verliert? – Dafür gibt es viele Gründe. Ein wichtiger besteht darin, dass das Radio nicht einfach eine mediale Erzählmaschine unter anderen ist. Das Radio, das vor 100 Jahren seinen Siegeszug durch die Welt begonnen hat – und nach dem Aufkommen des Fernsehens und des Internets fälschlicherweise totgesagt wurde –, eröffnet uns die Welt in einer besonderen Weise. Wer heute Radio hört, wird nicht einfach nur "informiert" oder unterhalten. Wer Radio hört, aktiviert sein eigenes Fühlen und Denken, die eigene Vorstellungskraft und Fantasie, die eigene Urteilskraft und Willensbildung. Radio ist – in seinen besten Ausprägungen – ein Medium der persönlichen Selbstbildung. Radio schafft Beziehung durch Zuhören. Das Zuhörenkönnen ist nicht nur die Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse, sondern auch für das Verstehen anderer Lebensrealitäten und Sichtweisen, fremder Gesellschaften, Kulturen und Religionen. Letztlich ist Zuhören ein Mittel zum Selbstverständnis und zum Verstehen von Gesellschaft. Ohne das Zuhören kann eine Demokratie in einer offenen Gesellschaft nicht funktionieren. Es hilft mit, das Gemeinsam-Wissen (="Gewissen") auszubilden. Dazu trägt das Radio einen wichtigen Teil bei.

Aber es gibt noch weitere Gründe für die Renaissance der Hörmedien: Das Hören scheint die ethische und die ästhetische Wahrnehmung mehr zu schärfen als das Sehen. Das Sehen führt angesichts der heute auf allen medialen Kanälen flutenden Bilderwelten in die Überforderung, bügelt seelisch vieles platt und lässt uns am Ende achselzuckend die Augen schließen.

Erleben wir gerade eine "Rebellion des Ohres gegen das Auge" (Stefan Fuchs)? Was leistet das Radio? Was zeichnet dieses Ohren-Medium aus, selbst wenn sich Ausspielwege und Nutzungsgewohnheiten verändern? Warum bewegt und berührt uns dieses Alltags-Medium wie kaum ein anderes? Worauf wird es in den nächsten hundert Jahren Radio ankommen?
Hubert Gaisbauer ist ein Radiopionier. 1939 in Linz geboren, studierte er Germanistik und Theaterwissenschaft in Wien. Während seiner Studienzeit begann er im Team der damaligen RAVAG (Radio-Verkehrs-AG) zu arbeiten. Sein Mentor Franz Gregora, der Hubert Gaisbauer zum Radio geholt hatte, betraute ihn 1965 mit der Leitung des Jugendfunks. Dazu gehörte auch die Sendung "Hallo Teenager", die Gaisbauer in "Magazin für Teens und Twens" umtaufte. Gaisbauer wollte aber die Jugend zum Subjekt machen: Das gelang ihm dann nach der Rundfunk-Reform von 1967. Damals war Gaisbauer am Aufbau der Sender Ö1 und Ö3 beteiligt und leitete die Jugend-Redaktion. Hauptbestandteil dieser Abteilung war die legendäre "Ö3 Musicbox", die den jeweiligen ORF-Generalintendanten bisweilen unbequem und "linkslastig" war. Im Jahre 1969 kommt die Familien-Redaktion zu Gaisbauers Ressort hinzu. Hubert Gaisbauer sucht ständig nach neuen Radioformen und so gehen Sendungen wie die "Minibox", "ZickZack" oder die "Funk-Verbindung" auf Ö3 auf ihn zurück. 1984 erfindet er die Sendung "Menschenbilder". Danach entsteht "Moment – Leben heute". Anfang der Neunzigerjahre übernimmt Gaisbauer auf eigenen Wunsch die Abteilung Religion, die er nach BBC-Vorbild vom Kirchenfunk zu einer völlig unabhängigen Hauptabteilung macht. Legendäre Sendungen wie "Logos" oder "Praxis" entstehen.

"Das Radio hat, zumindest in einem Teilbereich seiner Existenz-Berechtigung, ähnliche Aufgaben wie das Theater", sagte der Radiopionier Hubert Gaisbauer einmal in einem Zeitungs-Interview. "Es soll einen Beitrag leisten zur Besserung des Menschen und zur Verbesserung des Zusammenlebens." Nach seiner offiziellen Pensionierung im Jahr 1999 engagiert sich der streitbare Publizist Hubert Gaisbauer nach wie vor als Autor, Kolumnist und Vortragender für eine lebendige Kultur des Hörens, der Bildung und der Beziehung.