Anita Lasker-Wallfisch - "Das Frauenorchester von Auschwitz. Musik als Zwangsarbeit - Musik als Lebensretter"
In den Jahren 1943/44 gab es im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ein Frauenorchester, das sich aus Profi- und Laienmusikerinnen aus Deutschland, Frankreich, Polen und anderen europäischen Ländern zusammensetzte. Dirigentin war die damals weltberühmte Geigerin Alma Rosé, die Nichte des Komponisten Gustav Mahler. Das Orchester, entstanden aus einer Laune des Auschwitz-Kommandanten, musste bei der Ankunft der Häftlinge im Lager spielen, bei den Selektionen, im Kranken- und Versuchsblock.
"Wir gaben Konzerte... im Freien zwischen Lager A und B oder im Revier. Außerdem mussten wir immer bereit sein, etwas zu spielen, wenn SS-Leute in unseren Block kamen. Sie kamen meistens um sich von den "Strapazen" zu erholen, bei denen sie entschieden, wer leben und wer sterben sollte. Bei einer solchen Gelegenheit spielte ich die Träumerei von Schumann für Dr. Mengele, dem berüchtigten Lagerarzt... "
Lange Zeit hatte Anita Lasker-Wallfisch ihre Geschichte nicht einmal ihren Kindern erzählt, bis sie sich dazu entschloss ihre Erlebnisse für sie aufzuschreiben. Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Kinder schon erwachsen. Später wurde diese Niederschrift in dem Buch "Ihr sollt die Wahrheit erben" veröffentlicht. Seit ihrer Pensionierung, Anita Lasker-Wallfisch war Mitbegründerin und Orchestermitglied des English Chamber Orchestra, reist sie um die Welt, um ihre Geschichte zu erzählen. Im RadioKulturhaus las sie aus ihrem Buch und erzählte im Gespräch mit Irene Suchy über ihre Erfahrungen - auch nach 1945.
Unmittelbar nach der NS-Zeit wollte man nichts von den Opfern hören. Heute wird viel über den Holocaust geredet und geschrieben - oft sind es aber nicht die Opfer, die dabei zu Wort kommen. Immer wieder werden die gleichen Begriffe verwendet - solche wie "Aufarbeitung" und "Vergangenheitsbewältigung" - mehrheitlich wahrscheinlich in guter Absicht. Dennoch zeigt ihr inflationärer Gebrauch zweierlei: die Hilflosigkeit, aber auch den Abstand der aufgeklärten Nachkommen der Tätergeneration. "Das Schämen ist in der Regel wortlos.", schreibt Klaus Harpprecht, der Schwager von Anita Lasker-Wallfisch, im Vorwort zu ihrem Buch. Wenn das Reden über den Holocaust zu leicht fällt, wurde er schon abstrahiert. Die Opfer sind verdeckt. Mehr noch...
"... auf der Bühne der Politik und der Publizistik regt sich immer wieder das fragwürdige Verlangen, sich nachträglich der Opfer zu bemächtigen. Mancher unserer intellektuellen Weggenossen kann – in einer seltsamen Verirrung seiner Eitelkeit - der Versuchung nicht widerstehen, sich gleichsam mit dem Judenstern zu dekorieren: Plünderung von Geschicken, die uns erspart blieben - und die auf schreckliche Weise von uns geschieden sind... Man sagte, der Antisemitismus brauche keine Juden mehr, um seine Ressentiments in den Kellergelassen des Volksgemütes auszubrüten. Längst gibt es auch einen aufgesetzten Philosemitismus, der ohne Opfer auskommt." (Klaus Harpprecht)
Wenn die Opfer sprechen, sollten wir schweigen. Noch gibt es Menschen, die dem Gerede die Wahrheit und den Schmerz ihrer Erfahrung entgegensetzen können. Anita Lasker-Wallfisch ist einer von ihnen.
Text: Gudrun Hamböck
Service
Anita Lasker-Wallfisch - "Das Frauenorchester von Auschwitz. Musik als Zwangsarbeit - Musik als Lebensretter"
Donnerstag, 6. Oktober 2011
19:30 Uhr
Großer Sendesaal
Hörtipp
Der Mitschnitt der Veranstaltung "Anita Lasker-Wallfisch - "Das Frauenorchester von Auschwitz. Musik als Zwangsarbeit - Musik als Lebensretter" wird am 7. November 2011 in der Ö1 Sendereihe "Passagen" (16:00 Uhr) gesendet.