Porträt von Stefan Brunnhuber

FREIE PRESSE SACHSEN

Im Zeit-Raum: Freiheit und Nachhaltigkeit – die Kunst der Transformation

Johannes Kaup im Gespräch mit dem Ökonomen und Psychiater Stefan Brunnhuber

Wir stehen derzeit vor einem schier unüberwindbaren Berg an Herausforderungen: Klimawandel, Erhaltung der Biodiversität, Energiewende, Krieg, Teuerung, Wohlstandsunterschiede, Armut und Gesundheit. Die derzeitigen politischen Lösungsversuche greifen angesichts multipler vernetzter Problemlagen viel zu kurz. Denn die entscheidende und zu klärende Frage dabei ist: Wollen wir wachsen oder wollen wir uns entwickeln? – Die Idee eines grenzenlosen ökonomischen Wachstums ist mit der Psyche des Menschen, seinen sozialen Beziehungen und mit der Natur unvereinbar. Im Gegenteil: Alle menschlichen Kulturen der Menschheitsgeschichte sind letztlich an misslungenen Begrenzungen gescheitert. Deshalb dienen Kategorien wie Beschränkung, Balance, Verzicht und Weglassen eher unserer individuellen wie gesellschaftlichen Entwicklung und fördern ein gutes Leben in planetaren Grenzen für alle. Allerdings steht dem ein Freiheitsverständnis entgegen, das die Maximierung individualistischer Freiheiten zum handlungsleitenden Ideal erhoben hat: "I'll do it my way!" Der daraus entstandene – mit Natur und Gesellschaft – unverbundene Lebensstil ist zum Hemmschuh einer notwendigen Transformation geworden. Dass Freiheit nur zusammen mit Verantwortung für das Ganze nachhaltig bestehen kann, wird ausgeblendet. Aus Angst vor dem Verlust dieser Form von Freiheit wird krampfhaft am Status quo festgehalten. Auch dadurch bekommen jene autokratischen politischen Kräfte Aufwind, die mit kurzsichtigen gruppenegoistischen Lösungen Heil versprechen. Nicht erst seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine stellt sich die Frage, wer sich im Streit um die globale Entwicklung durchsetzen wird: offene Gesellschaften oder Autokratien? – Wenn wir eine demokratische und gerechte Weltentwicklung wollen, müssen wir uns ehrlich fragen, wie wir leben wollen, was uns Freiheit wirklich bedeutet, wie wir fairer verteilen und vor allem was wir tun können, um unsere natürliche Lebenswelt für uns und unsere Nachkommen global zu erhalten. Die gesellschaftliche Transformation, die im 21. Jahrhundert nötig ist, ist keine Frage der Technik, sondern eine Kunst. Sie erfordert Bildung, erweitertes Bewusstsein, postkonventionelles Denken und muss von einer solidarischen universellen Empathie getragen sein. Auf dieser Grundlage können dann nachhaltige technische, ökonomische, soziale und politische Innovationen entwickelt werden und Lebensstile entstehen, die nicht dem Wachstum, sondern einer menschengerechten Entwicklung dienen.